Am 2. Dezember 2020 debattierten in einer digitalen Diskussionsrunde Prof. Dr. Elisabeth André (Professorin für Multimodale Mensch-Technik Interaktion am Institut für Informatik der Universität Augsburg), Prof. Ulrich Kelber (Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit und Honorarprofessor am Zentrum für Ethik und Verantwortung der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg) sowie Prof. Dr. Remi Maier-Rigaud (Professor für Sozialpolitik und Leiter des Bachelor-Studiengangs Nachhaltige Sozialpolitik am Fachbereich Sozialpolitik und Soziale Sicherung der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg) über das Spannungsverhältnis von individuellem Datenschutz und gemeinwohlbringender Digitalisierung. Die Veranstaltung war mit dem Namen „Daten spenden, Leben retten? Datenschutz und Digitalisierung auf dem Prüfstand“ betitelt und wurde gemeinsam mit der Bonner Akademie für Forschung und Lehre Praktischer Politik (BAPP), dem Forum Sozialversicherungswissenschaft e.V. (FSVW), der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn ausgerichtet und per Livestream online übertragen.

Prof. Dr. Volker Kronenberg, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bonner Akademie, eröffnete die Veranstaltung und führte in das brandaktuelle Thema der Diskussion ein. Datenschutz und Digitalisierung stünden besonders durch die Entwicklungen digitaler Fortschritte während der Corona Pandemie auf dem Prüfstand, könnten aber durch Solidarität vereinbart werden, was beispielsweise an den Diskussionen um die Corona-Warn-App deutlich würde. Die Kooperation von Akteuren aus Wissenschaft und Praxis sei in der Pandemiebekämpfung von besonderer Bedeutung. „Der gesellschaftliche Gesundheitsschutz auf der einen Seite und der individuelle Datenschutz auf der anderen“ seien hierbei permanente Aufgaben, die die Politik zu bewältigen habe. Eingriffe in die Privatsphäre der Menschen würden von der Gesellschaft kritisch aufgenommen, da Datenschutz in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern einen hohen Stellenwert besitze. Trotzdem dürften die Chancen der Digitalisierung im Gesundheitswesen, welche sich besonders durch die Corona Pandemie verstärken konnte unter keinen Umständen vernachlässigt werden, wobei eine Reihe an rechtlichen, gesellschaftspolitischen und ethischen Fragen, aber auch Anforderungen aufkämen, derer sich gewidmet werden müsse.

Es folgten weitere einführende Worte von Prof. Dr. Laurenz Mülheims, Vorsitzender des Forums Sozialversicherungswissenschaft e.V., der sich seinem Vorredner anschloss und die interdisziplinäre Sicht der Diskussion und der Thematik von Digitalisierung und Datenschutz hervorhob, wobei er argumentierte Datenschutz nicht immer als verbietende Instanz sehen zu dürfen. Nach der Begrüßung und Einführung übernahm Prof. Dr. Michael Heister (Honorarprofessor am Fachbereich Sozialpolitik und Soziale Sicherung und Abteilungsleiter im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB)) als Moderator der Veranstaltung das Wort und stellte die Diskutiereden vor, die in einzelnen Statements die Thematik detaillierter darlegten.

Prof. Ulrich Kelber hob in seinem Statement den frühen Start der Digitalisierung im Gesundheitswesen in dieser Legislaturperiode hervor, wobei er beispielsweise auf Apps verwies, die mit offizieller Anerkennung die digitale Ausstellung von ärztlichen Rezepten ermöglichen könnten. Es sei vor allem wichtig Vertrauen in der Gesellschaft gegenüber diesen Digitalisierungsprozessen zu erwecken, besonders im Hinblick auf sensible Daten. Er verwies hierbei auf das Patienten-Datenschutz-Gesetz (PDSG) und das Digitale Versorgung-Gesetz (DVG). Prof. Dr. Elisabeth André, die dem Bayerischen Ethikrat angehört, argumentierte einen prüfenden Blick hinsichtlich der Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) Technologien zu bewahren. Der Mensch müsse Entscheidungen der Maschine auch verstehen. Sie verwies außerdem auf die asymmetrische Vertrauensbeziehung hinsichtlich persönlicher Datenauskünfte. Es dauere lange bis sich Vertrauen entwickele oder wiederhergestellt sei. Übereilte Entscheidungen könnten Datenspenden erschweren. Hilfreich, aber besonders problematisch hinsichtlich ethischer Bedenken, seien Triage Softwares. Es müsse sich hierbei immer an ethischen Leitlinien orientiert werden. Der zentrale Punkt sei das Vertrauen und die Frage, was mit den Daten der Patientinnen und Patienten passiere. Es dürfe nicht zu kognitiven Verzerrungen kommen. Prof. Dr. Remi Maier-Rigaud bezieht sich vor allem auf die Begrifflichkeit der Solidarität. Solidarschutz sei etwas was die Gemeinschaft schütze. Soziale Folgen und Konsequenzen einzelner rückten in den Hintergrund. Solidarität müsse aber die Sicherung der Gesundheit für jede/n Einzelne/n ermöglichen.

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Von allen Diskutierenden wurde der Bedarf an Vertrauen und Regeln hervorgehoben, um das gesundheitliche Gemeinwohl zu fördern, wobei einzelne Individuen mitgenommen werden müssten und es zu keiner Endsolidarisierung kommen dürfe.

Es folgte die Podiumsdiskussion, bei der zu Beginn auf die Thematik der Corona-Warn-App eingegangen wurde. Prof. Dr. Maier-Rigaud argumentierte die Corona-Warn-App sei ein Beispiel dafür, dass Gesundheitsschutz eine kollektive Aufgabe sein könne. Prof. Kelber sieht in den negativen Diskursen um die Corona-Warn-App ein entscheidendes Problem für die Akzeptanz der App. Die persönlichen Daten der Menschen würden hier nicht falsch verwendet werden, wobei die positiven Funktionen der App vermehrt hervorgehoben werden sollten.

Daran schloss sich eine Diskussion um das deutsche Gesundheitswesen an bei der Prof. Dr. André den mangelnden Ausbau der digitalen Infrastrukturen aufführte. Prof. Kelberführte weiter an, dass Argumente des Datenschutzes in Europa oftmals als Deckmantel für die Unfähigkeit einen digitalen Fortschritt ermöglichen zu können, verwendet würden. Die Existenz riesiger zur Verfügung stehender „Datenwolken“ und die Sicherung individueller Daten müssten mithilfe von rechtlichen Grundlagen arrangiert werden. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz argumentierte, dass die vereinbarten Grundsätze in den Datenverarbeitungen immer eingehalten werden müssten wobei vordergründig das Beraten vorab hilfreich sei, um adäquate Strukturen zu schaffen. Prof. Dr. André führte an, dass ein Ethikvotum Pflicht sei und es Leitlinien („Guidelines“) gebe, an die sich gehalten werden müsse.

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Instanzen wie Ethik-Kommissionen und Datenschutzbeauftragte auf Landes- und Bundesebene, als Leitplanken seien aktuell wichtig, um den Fortschritt in der Digitalisierung und den Datenschutz vereinbaren zu können, wobei deren Nutzen auch geprüft werden müsse. Das Spenden von Daten als Abgabe von Rechten müsse immer konkret und freiwillig erfolgen, hinsichtlich der Cybersicherheit bestünde Verbesserungsbedarf und Monopolstellungen müssten verhindert werden. Es sei vor allem wichtig Wissensbasierte und datengetriebene Ansätze zu kombinieren sowie Ergebnisse stets hinterfragen zu können, sodass der Überblick über die Daten nicht verloren gehe.

Während der Veranstaltung und gesondert noch einmal zum Ende konnten die Teilnehmenden ihre Fragen in den Chat schreiben, sodass diese dann von der Expertin und den Experten beantwortet werden konnten. Im Schlusswort verwies Prof. Dr. Mülheims auf die Mahnung der Bundeskanzlerin, die argumentiert hatte, dass die vermehrt stattfindende Digitalisierung mit einer Datenteilung einhergehe. Das Spanungsverhältnis zwischen Digitalisierung und Datenschutz sei immer präsent. Datenschutz müsse stetig hinterfragt, aber auch neu eingestellt werden. Es dürfe nicht nur in Datenschutz und Datensicherheit investiert werden, sondern auch gesellschaftliche Diskurse und Solidarität müssten gefördert werden.

Sehen Sie hier die Aufzeichnung der Online-Diskussion „Daten spenden, Leben retten? Datenschutz und Digitalisierung auf dem Prüfstand.“

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