Am 11. Mai 2023 haben wir unsere Reihe „Zeit für einen Gedankenaustausch“ wieder aufgenommen. Dieses Mal konnten wir Forumsmitglied Prof. Dr. Christian Rexrodt (Hochschule Bonn-Rhein-Sieg), bekennender „Reha-list“ für eine Erläuterung des Befähigungsansatzes gewinnen. In seinem kurzweiligen und einprägsamen Vortrag referierte er über die Aufgaben der Sozialversicherungsträger, die Menschen zur selbstbestimmten, wirksamen und gleichberechtigten befähigen sollen. Das Gesundheits-Krankheits-Kontinuum soll dafür sorgen, dass man wieder gesund wird „was jedoch zu kurz kommt, ist die seelische und soziale Gesundheit“, so Prof. Dr. Rexrodt.

Äußerst anschaulich durften die Teilnehmenden anschließend die Kontextfaktoren kennenlernen, die eine erfolgreiche Rehabilitation bedingen. Neben personenbezogenen Faktoren wie Bildung, Alter und Geschlecht zählen dazu Umweltfaktoren, darunter die sozialen Beziehungen und die Arbeits- und Beschäftigungssituation. Diese Faktoren wirken in positiver oder negativer Weise auf das Rehabilitationsergebnis ein: „Um zu einem optimalen Rehabilitationsergebnis zu gelangen, ist eine individuelle Bedarfserhebung ist notwendig, die sich nicht in Zuständigkeitskonflikten verliert und wo der Mensch im Vordergrund steht“ – fasst Prof. Dr. Rexrodt zusammen.

Im Anschluss stellte unser Vorsitzender Prof. Dr. Laurenz Mülheims den Befähigungsansatz vor, der auf den indischen Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Amartya Sen zurückgeht. Dazu griff er auf ein Beispiel seines Buchs The Idea of Justice zurück, bei dem drei Kinder um eine Flöte streiten und jedes Kind ein Argument vorweisen kann, warum es die Flöte bekommen sollte. An diesem Beispiel illustrierte Prof. Dr. Mülheims, dass Gerechtigkeitsfragen stets abgewogen werden müssen und es nicht die objektive Lösung eines Problems gibt. Sen verneint insgesamt, dass Gerechtigkeit und Gleichheit automatisch eintreten, wenn alle Güter einfach gleich verteilt werden.

Nach den spannenden Einführungen in die beiden Ansätze ergab sich unter den Teilnehmenden eine lebhafte Diskussion darüber, was die Sozialversicherungen bewirken können, um zu mehr Gerechtigkeit beizutragen. Es wurde dabei deutlich, dass gerade in Fragen von Rehabilitation und Befähigung zu einem selbstbestimmten Leben die Sozialversicherungen ihren Teil zur Verbesserung beitragen können. Es blieb jedoch eine offene Frage, ob das Sozialversicherungssystem mit den Erwartungen und Ansprüchen aus den Leitgedanken Sens überfordert würde und welchen Beitrag es konkret zu einem Mehr an Gerechtigkeit liefern könnte.