Prof. Dr. Rainer Schäfer, Prof. Dr. Hans Joachim Pieper, Prof. Dr. Klaus Lehmann, Prof. Dr. Helga Seel und Prof. Dr. Michael Heister
Anlässlich des 300. Geburtstags des Philosophen Immanuel Kant haben die Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP), das Forum Sozialversicherungswissenschaft e.V. sowie die Bonner LESE am 9. April 2024 zur Veranstaltung „Kant und Bildung – Drei Bonner Hochschulen“ eingeladen. Vor fast 200 Teilnehmenden referierten Dr. Larissa Berger, Dozentin für Praktische Philosophie an der Universität Siegen sowie Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Otfried Höffe, Professor für Philosophie und Mitglied der Leopoldina, über Immanuel Kant und seine Gedanken über das Elternrecht auf Bildung und seine Philosophie der Erziehung. Im Anschluss diskutierten die Referenten Prof. Dr. Hans Joachim Pieper, Rektor der Alanus-Hochschule, Prof. Dr. Rainer Schäfer, Professor für klassische Philosophie an der Universität Bonn sowie Prof. Dr. Klaus Lehmann, Geschäftsführer des Zentrums für Ethik und Verantwortung der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg über Kants Bedeutung für die Hochschullehre.
Nach der Begrüßung durch Prof. Dr. Michael Heister (Vorsitzender des Forums Sozialversicherungswissenschaft e.V., Abteilungsleiter im Bundesinstitut für Berufsbildung und Honorarprofessor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg) und Dr. Emil Schwippert (Vorsitzender der Bonner LESE) begann zunächst Dr. Larissa Berger mit ihrem Vortrag über Kant und das Elternrecht zur Bildung ihrer Kinder. Sie beleuchtete dabei sowohl philosophische Konzepte als auch praktische Implikationen. Während ihres Vortrags zitierte Dr. Larissa Berger relevante Paragraphen aus Kants Werken und entwickelte darauf aufbauend eine anschauliche Darstellung von Kants grundlegenden Ideen.
Prof. Dr. Michael Heister und Dr. Emil Schwippert
Zunächst erläuterte Dr. Berger Kants Betrachtungen zum Eherecht und hob dann die Frage nach den Rechten und Pflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern hervor (§ 28, Kant: Die Methaphysik der Sitten). Diese Verantwortung erstreckt sich laut Kant bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Kinder in der Lage sind, sich selbst zu versorgen. Essen, Pflege und Sicherheit sind grundlegende Bedürfnisse, die Eltern gewährleisten müssen. Doch Dr. Berger machte deutlich, dass es auch Verbote gibt: Eltern dürfen ihre Kinder nicht als bloße Besitztümer betrachten oder ihnen Schaden zufügen, sei es physisch oder moralisch.
Die Referentin betonte weiterhin, dass Kinder nicht nur physische Wesen sind, sondern auch Vernunftbegabte mit moralischen Ansprüchen. Sie zog eine klare Linie zwischen dem Akt der Zeugung und dem Beginn der moralischen Verantwortung der Eltern. Diese tragen die volle Verantwortung für das Wohl und die Erziehung ihrer Kinder, da sie sie eigenmächtig in die Welt hineingezogen haben.
Dr. Larissa Berger
Aus dieser Verantwortung leitet sich das Recht der Eltern zur Bildung und Erziehung ihrer Kinder ab. Sie dürfen ihre Kinder gemäß den Prinzipien der Kultivierung und Zivilisierung formen, um sie zu moralisch handelnden Individuen heranzubilden. Dazu gehört auch das Recht, ihre Kinder zum Lernen zu zwingen und gegebenenfalls Strafen anzudrohen.
Jedoch hob Dr. Berger auch hervor, dass die Schuld der Eltern besteht, wenn sie ihren Pflichten nicht gerecht werden. Sie müssen sich bemühen, ihre Kinder bestmöglich zu fördern und zu vervollkommnen, sowohl körperlich als auch geistig (§ 29, Kant: Die Metaphysik der Sitten). Letztendlich liegt es an den Eltern, die Grundlage für das moralische und intellektuelle Wachstum ihrer Kinder zu legen, damit sie zu verantwortungsbewussten Mitgliedern der Gesellschaft heranreifen können.
Als zweiter Referent widmete sich der bekannte Kant-Philosoph Prof. Dr. Otfried Höffe in seinem Vortrag der Philosophie der Erziehung im Kontext von Immanuel Kants Denken. Seine Ausführungen spannten einen Bogen von grundlegenden philosophischen Prinzipien bis hin zu konkreten pädagogischen Ansätzen.
Zu Beginn zitierte er das berühmte Kant-Zitat, wonach der Mensch das einzige Geschöpf ist, das erzogen werden muss. Dies unterstrich die zentrale Rolle der Erziehung als nicht nur eine Eigentümlichkeit, sondern eine Notwendigkeit für die menschliche Existenz. Im Gegensatz zu anderen Lebewesen verfügt der Mensch nicht über angeborene Instinkte, sondern muss durch Erziehung zu einem moralischen und vernunftbegabten Wesen geformt werden.
Prof. Dr. Otfried Höffe
Prof Dr. Höffe betonte die grundlegende Aufgabe der Erziehung, Weltbürgerlichkeit zu fördern, insbesondere in Zeiten der Globalisierung. Dabei sei es wichtig, dass dieser Kosmopolitismus ökologisch orientiert ist und Charaktereigenschaften wie geistige Courage gefördert werden.
In Bezug auf die praktische Umsetzung der Erziehung skizzierte Prof Dr. Höffe drei Stufen: das Disziplinieren, das Kultivieren und das Zivilisieren. Beim Disziplinieren geht es laut Kant vor allem darum, die inneren Zwänge und Triebe des Menschen zu überwinden, um die Vernunft nutzen zu können. Dies beinhaltet eine bewusste Lenkung von Bedürfnissen wie Essen, Trinken und Sexualität im Einklang mit rationalen Zwecken.
Die Stufe des Kultivierens zielt darauf ab, menschliche Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln. Dabei liegt der Fokus nicht nur auf der Beherrschung äußerer Werkzeuge, sondern vor allem auf der Entfaltung innerer Fähigkeiten und der Fähigkeit zur eigenständigen Informationsverarbeitung. Hierbei wird die Notwendigkeit betont, Kinder von unnötiger Abhängigkeit von externen Werkzeugen zu befreien und ihre eigenen Fähigkeiten zu entfalten.
Die Zivilisierung beinhaltet die Anpassung des Menschen an die gesellschaftlichen Normen und die Förderung von Weltklugheit sowie Privatklugheit. Es geht darum, sich in die Gesellschaft einzufügen, beliebt zu sein und Einfluss zu haben, jedoch ohne das Wohl der Gemeinschaft aus den Augen zu verlieren.
Schließlich sprach Prof Dr. Höffe über die höchste Stufe der Erziehung, das Moralisieren. Kant betonte die Schwierigkeit dieser Aufgabe, da die Menschheit noch nicht im Zeitalter der abgeschlossenen Moralisierung lebe. Dennoch ist es wichtig, moralische Werte wie Ehrlichkeit und Autonomie zu vermitteln und Laster wie Lüge mit Verachtung zu bestrafen, anstatt sie zu belohnen. Hierbei spielte die Entwicklung eines autonomen moralischen Urteils eine entscheidende Rolle, damit das Kind die Laster nicht nur verabscheut, weil es von außen sanktioniert wird, sondern weil es sie als intrinsisch verwerflich erkennt.
In einer lebhaften Podiumsdiskussion, angeregt durch die Fragen der Moderatorin Prof. Dr. Helga Seel (Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Forum Sozialversicherungswissenschaft), vermittelten die Teilnehmer Prof. Dr. Rainer Schäfer (Universität Bonn), Prof. Dr. Hans Joachim Pieper (Alanus-Hochschule, Alfter) und Prof. Dr. Klaus Lehmann (Hochschule Bonn-Rhein-Sieg) wie aktuell das Gedankengut Kants ist und welche Bedeutung es für die Bewältigung der Herausforderungen unserer heutigen Zeit hat. Auch machten sie die Verantwortung der Hochschulen deutlich, ihre Studierenden als eigenständig denkende, kritische und verantwortungsbewusste Menschen zu fördern.
Prof. Dr. Rainer Schäfer, Prof. Dr. Hans Joachim Pieper, Prof. Dr. Klaus Lehmann und Prof. Dr. Helga Seel
Prof Dr. Pieper betonte dabei, dass Bildung als die nachhaltigste Investition in die Zukunft betrachtet werden sollte. Doch wie soll diese Bildung gestaltet sein und wie kann uns Kant dabei weiterhelfen? Die Diskussion konzentrierte sich auf Aspekte wie Sinnorientierung, Kreativität und den Dialog zwischen Rationalität und Gefühl, sowie zwischen Wissenschaft und Kunst.
Prof. Dr. Hans Joachim Pieper
Prof Dr. Lehmann unterstrich die Bedeutung einer ganzheitlichen Bildung, die nicht ausschließlich nur fachbezogen, sondern auch fachübergreifend sein müsse und Räume für den kritischen Austausch braucht. Studierende sollten sich bewusst sein, dass ihr Wissen eine Gestaltungsmacht besitzt, die über das hinausgeht, was aktuell benötigt wird, um die Herausforderungen der heutigen Gesellschaft zu bewältigen.
Prof. Dr. Klaus Lehmann
Die Diskussion weitete sich aus, als Prof Dr. Schäfer das Thema Bildung im Kontext von Kants Ideen zu einem friedenssichernden Weltföderalismus ansprach. Bildung sollte demnach die Förderung von einem einander wertschätzenden Denken unterstützen, was Kant in seinem Aufklärungsaufsatz betonte. Die Podiumsteilnehmer diskutierten auch, ob und inwieweit Künstliche Intelligenz das von Kant geforderte eigene Denken eher behindert oder unterstützt.
Prof. Dr. Rainer Schäfer
Prof. Dr. Schäfer erläuterte die Einzigartigkeit von Kants Philosophie des Denkens und ihre Verbindung zum moralischen Denken. Konstruktiver Streit, wie von Prof Dr. Lehmann aufgeführt, könne zu neuen Erkenntnissen führen und das Verständnis zwischen Menschen verbessern.
Die Diskussion schwenkte zu Kants Formalismus, der von einigen als Stärke und von anderen als Schwäche betrachtet wurde. Prof Dr. Pieper und Prof Dr. Schäfer diskutierten die Bedeutung dieser Sichtweise und betonten die Verantwortung der Hochschulen in diesem Kontext.
Prof. Dr. Rainer Schäfer, Prof. Dr. Hans Joachim Pieper und Prof. Dr. Klaus Lehmann
Insgesamt hob die Podiumsdiskussion verschiedene Perspektiven auf Bildung und Kants Philosophie hervor und unterstrich die Bedeutung eines ganzheitlichen Bildungsansatzes für die heutige Gesellschaft. Zum Ende der Podiumsdiskussion dankte Herr Prof. Heister den Teilnehmenden sowie den Vortragenden für die intensive Diskussion auch unter Einbeziehung der anregenden Fragen aus dem Publikum. Den Mitarbeitenden der BAPP dankte er für die professionelle und gelungene Organisation.